Anstatt sich zum Geburtstag beschenken zu lassen, wie es sich für ein ordentliches Geburtstagskind gehört, nimmt der Dalai Lama seinen 80. Geburtstag zum Anlass der Welt ein Buch zu schenken. „Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion“ (Amazon-Link) ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Werk. Auf nicht einmal 50 Seiten bringt es das Büchlein, dessen Lektüre ich jedem wärmstens ans Herz lege. In seinen Botschaften und in seiner Sprache beweist der Dalai Lama, dass Tiefgründigkeit und Einfachheit keine Gegensätze sind.
„Für eine bessere Welt brauchen wir alle. Der Grund ist ganz einfach: Wir alle sind Brüder und Schwestern.“
Er appelliert für eine säkulare Ethik. Eine Ethik, die an keinen Glauben gebunden ist. Eine Ethik, die Brücken bauen kann – zwischen kulturellen, ethnischen und religiösen Unterschieden. Eine Ethik, die auf Güte, Mitgefühl und Fürsorge basiert. Eine Ethik, die deshalb ein Ausweg sein kann für unsere zuspitzenden globalen Konflikte. Warum der Dalai Lama für eine Ethik jenseits der Religion wirbt, wird klar, wenn er angesichts des im Namen von Religionen verursachten Leids sagt:
„An manchen Tagen denke ich, dass es besser wäre, es gäbe gar keine Religionen!“
Die säkulare Ethik steht für ihn aber nicht im Widerspruch zur Religion. Diese Überzeugung macht er an einem wunderschönen Bild deutlich:
„Der Unterschied zwischen Ethik und Religion ähnelt dem Unterschied zwischen Wasser und Tee. Ethik und innere Werte, die sich auf einen religiösen Kontext stützen, sind eher wie Tee. Der Tee, den wir trinken, besteht zum größten Teil aus Wasser, aber er enthält noch weitere Zutaten – Teeblätter, Gewürze, vielleicht ein wenig Zucker und – in Tibet jedenfalls – auch eine Prise Salz, und das macht ihn gehaltvoller, nachhaltiger und zu etwas, das wir jeden Tag haben möchten. Aber unabhängig davon, wie der Tee zubereitet wird: Sein Hauptbestandteil ist immer Wasser. Wir können ohne Tee leben, aber nicht ohne Wasser. Und genau so werden wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach Mitgefühl – und auch nicht ohne Wasser.“
Der Dalai Lama ist überzeugt davon, dass alle Menschen im Grunde nach Glück streben und durch den Wunsch, Leid zu vermeiden, verbunden sind. In dieser Idee kann ich mich sehr wiederfinden. Was sonst sollte auch unser Antrieb sein? Dabei gibt er seinen Lesern auch einen Rat an die Hand, wie jeder Einzelne Leid mindern kann:
„Durch Meditation und Nachdenken können wir zum Beispiel lernen, dass Geduld das wichtigste Gegenmittel gegen die Wut ist, Zufriedenheit gegen Gier wirkt, Mut gegen Angst, Verständnis gegen Zweifel. Zorn über andere hilft wenig, stattdessen sollten wir dafür sorgen, dass wir uns selbst ändern.“
In der Praxis heißt das, sich zunächst der eigenen Gemütszustände bewusst zu werden. Erst mit diesem Bewusstsein kann es gelingen, die eigene Stimmung und damit auch die Stimmung der Umwelt ins Positive zu drehen.
Wenn ich an das viele Leid denke, das wir Menschen überall auf der Welt verursachen, und die Situation des tibetischen Volkes sehe, dann bewundere ich den unerschütterlichen Glauben des Dalai Lama in den Menschen. Die Lektüre seines Appells hat mir dabei geholfen, zu verstehen, wieso er so beseelt ist von der Idee des 21. Jahrhunderts als Jahrhundert des Friedens, des Dialogs und einer fürsorglicheren, verantwortungsvolleren und mitfühlenderen Menschheit. Tut euch selbst einen Gefallen und lest das kleine Büchlein „Ethik ist wichtiger als Religion“, das auch als kostenloses E-Book (Amazon und iTunes) verfügbar ist.
Beitragsfoto: Christopher Michel
Ein super schön geschriebener Artikel, der zur fachlich anstrengenden Lektüre des Arbeitsalltages einen tollen Gegenpol bildet.